Donnerstag, 08. Februar 2024, 11:56 Uhr
von Jens

Deine Meinung zur Demokratie-Krise: Jens Fleischhauer, Sprachwissenschaftler

Demokratie hat viele Facetten. In dieser Interview-Reihe frage ich nach: was sind deine Erfahrungen mit der Demokratie? Wie nimmst du unsere Politik in Deutschland wahr im Angesicht von rechtsextremem Anfeindungen und großen Demonstrationen.

Mein Gesprächspartner heute

Jens Fleischhauer ist als promovierter Sprachwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig.  Er forscht dort unter anderem zur Sprache von Reichsbürgern und anderen Gruppen der extremen Rechten. Mit seiner Familie lebt der 42-jährige am Niederrhein und engagiert sich dort unter anderem bei den Parents for Future.

Und los geht's…

Magnus: — Herzlichen Dank für deine Bereitschaft, hier über die Rettung der Demokratie nachzudenken, Jens. Ich frage mich oft, was die Menschen im Alltag mit Demokratie verbinden. Dazu forsche ich nach eventuell positiven Erinnerungen, die erlebte Demokratie ausgemacht hat. Hast du so eine Erinnerung? Was ist deine positive Erinnerung an Demokratie? Was war das für eine Erfahrung?

Jens Fleischhauer: — Die Frage ist ganz nicht einfach zu beantworten. Eigentlich fällt mir keine besondere positive Erinnerung an die Demokratie ein. Ich wurde in einem demokratischen Staat geboren und lebe seitdem in einem demokratischen Deutschland und Europa. Ich kenne es also gar nicht anders und empfinde Demokratie als selbstverständlich. Vielleicht ist die positive Erinnerung, dass sie – die Demokratie – immer da war.

Magnus — Finde ich spannend. Ich habe tatsächlich positive Erinnerungen an einzelne Ereignisse. Zum Beispiel daran, wie ich das erste Mal an der Bundestagswahl teilnehmen durfte und das Prozedere sehr surreal wahrnahm. Es hat nämlich tatsächlich in meinem eigenen Klassenzimmer der Grundschule, die ich besucht habe, stattgefunden.

Zum Jahreswechsel 2024 gab es einige Ereignisse, die gewichtige Herausforderungen für die Demokratie sein können. Zudem stehen in 2024 in Deutschland, aber auch weltweit einige wichtige Wahlen an. Wie nimmst du die Situation für die Demokratie im Augenblick wahr? Sie war für dich immer da, also selbstverständlich. Ist diese Sicherheit bei dir noch genauso vorhanden?

"wir haben unter Trump erlebt, wie eine Demokratie in Gefahr gerät und auch gesehen, dass die Demokratie sich wehren kann."

Jens Fleischhauer — Viele Dinge sind selbstverständlich, zum Beispiel auch meine Brille. Normalerweise bemerke ich sie gar nicht mehr, aber wenn mit ihr etwas nicht stimmt – die Gläser dreckig sind, die Brille irgendwie defekt ist oder ich sie verlegt habe – dann fällt mir ihr Fehlen auf. So ist das auch mit der Demokratie: Gerade dann, wenn es schlecht um sie steht, fällt auf, was an ihr alles gut ist. Und schlecht steht es um sie, finde ich. Daher bin ich auch nicht sicher, ob die Demokratie wie selbstverständlich auch noch in Zukunft da sein wird. Wir haben erlebt, was in vielen anderen Ländern geschehen ist. Die USA sind da ein extremes Beispiel, obwohl die USA auch ein wenig Hoffnung gibt. Wir haben unter Trump erlebt, wie eine Demokratie in Gefahr gerät und auch gesehen, dass die Demokratie sich wehren kann. Wenn auch viele Menschen Trumps Darstellungen glauben, ist es doch letztlich eine erfolgreiche Abwahl Trumps geworden.

Deutschland steht auch vor entscheidenden Wahlen: wird die AfD bei den Landtagswahlen weiter punkten? Wird die CDU die Abgrenzung zur AfD weiter abreißen? Wie wird die FDP reagieren, sollte sie bei den anstehenden Wahlen weiter verlieren? Zugleich beobachten wir, dass die extreme Rechte den politischen Diskurs beeinflusst und das auch jenseits parlamentarischer Beteiligungen. Mir scheint der politische Diskurs tatsächlich ein guter Gradmesser zu sein, um zu sehen, wie es um die Demokratie steht. Dieser Diskurs wird roher und radikaler, dafür ist aber nicht nur die extreme Rechte verantwortlich.

Magnus — Ja, die Brille. Das ist ein prima Beispiel, das ich gut nachvollziehen kann. Was ist denn aktuell deine gröste Befürchtung? Wie denkst du, das 2024 in Bezug auf Demokratie verlaufen wird?

Jens Fleischhauer — Ich habe mehrere Befürchtungen. Einerseits befürchte ich, dass Anliegen wie Klimaschutz untergehen werden, da es neben dieser vermeintlich langfristigen Gefahr anscheinend unmittelbarere Gefahren geben wird. Politiker*innen könnten die Idee haben, dass sie AfD-Wähler*innen an sich binden, wenn sie zum Beispiel Klimaschutzziele opfern. Quasi: Weniger Klimaschutz damit wir die Demokratie retten. Ich glaube aber, dass dies nach hinten losgehen wird.

Auch befürchte ich, dass der öffentliche/ politische Diskurs weiter nach rechts verschoben wird. Wir beobachten immer mehr Populismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und die bewusste Verbreitung von Fake News. Dies ist nicht mehr auf rechtspopulistische Parteien begrenzt, sondern auch bei Politiker*innen zu beobachten, die in Regierungsverantwortung stehen, zum Beispiel Markus Söder und Hubert Aiwanger.

"… vermeintlich harmlose Themen erlauben den Brückenschlag zwischen der extremen Rechten und bürgerlichen Mitte."

Hinzu kommt, dass Rechte versuchen ihre Begriffe zu setzen und den Diskurs zu ihren Gunsten zu verschieben. Ich finde, dass dies sehr gut im Bereich der sogenannten ‚Genderkritik‘ funktioniert, die gerne als eine reine Form der Sprachkritik dargestellt wird, die nicht politisch motiviert ist. Das mag ja auch in manchen Fällen so sein, aber dieses vermeintlich harmlose Thema erlaubt den Brückenschlag zwischen der extremen Rechten und bürgerlichen Mitte. Nach und nach werden nicht nur rechte Positionen, sondern auch ihre Argumentationen übernommen.

Eine weitere Befürchtung, die ich habe, ist, dass es mehr solcher Brückenschläge gibt, mit denen nach und nach mehr rechte Ideologie in die bürgerliche Mitte sickert und von dieser mitsamt Argumentationsmustern übernommen wird. Dadurch erleben wir eine schleichende Bewegung nach rechts, die nicht so auffällig ist, wie gute Wahlergebnisse der AfD, aber vermutlich deutlich wirkungsvoller.

Eine Prognose, wie es 2024 mit der Demokratie in Deutschland weitergeht, kann ich nicht machen. Die Enthüllungen von Correctiv rund um das Treffen rechter Personen in Potsdam haben zumindest die Zivilgesellschaft aufgeschreckt. Es besteht also Hoffnung, dass 2024 mehr Menschen bewusst hinschauen und sich für die Demokratie einsetzen.

Magnus — Kann ich voll nachvollziehen. Ich habe heute Ausschnitte der Rede von Christian Lindner bei den Bauernprotesten gehört und war erschüttert über die Formulierungen, seine Gestik und Mimik und die plumpen Verächtlichmachungen, die er als Minister transportiert hat und damit wohl auch von seiner eigenen Rolle ablenken wollte.

Wenn wir ein bisschen zurück in die Vergangenheit schauen, was meinst du, lief schief mit der Demokratie in Deutschland? Welche Fehler haben wir gemacht oder was ist der Grund, dass wir nun vor so einer "Großkrise" stehen?

Jens Fleischhauer — Ich glaube nicht, dass es den einen Moment gab, der dazu führte, dass wir in der gegenwärtigen Situation sind. Rechte Gruppen haben durch die Ereignisse 2015 sicherlich einen Aufschwung bekommen und dadurch auch konservative Kreise unter Druck gesetzt. Hinzu kommt, dass sich die Welt – bedingt durch die Klimakrise und durch geopolitische Aggressivität verschiedener Länder – in einem dauerhaften Krisenmodus befindet. Dies wirkt sich auf die Innenpolitik aus und spiegelt sich zugleich im öffentlichen Diskurs wider. Je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse die „alte“ Hegemonie in Frage stellen – unser Wirtschaftssystem, unsere Lebensweise, aber auch, etwa durch die Gender Studies, das ‚klassische‘ Familienbild – desto mehr setzt sich Wissenschaftsfeindlichkeit und damit einhergehend Populismus durch. Dies spielt dann rechten Ideologen in die Hände, da ihre Positionen zusehends mehr akzeptiert werden.

"Je mehr über Krisen geredet wird, desto mehr möchten Menschen – verständlicherweise – ein Leben ohne Krisen."

Ich denke, dass einerseits der Verlust des Vertrauens in die Wissenschaft – den wir in der Coronapandemie erleben mussten und auch sehr stark im Bezug auf die Klimakrise sehen – anderseits die Zunahme von Krisen (oder zumindest des Redens über Krisen) dafür verantwortlich sind, dass wir da sind, wo wir sind. Je mehr über Krisen geredet wird, desto mehr möchten Menschen – verständlicherweise – ein Leben ohne Krisen. Die einfachste Möglichkeit besteht dann darin, die Krise zu ignorieren oder weitergehend wegzuerklären, indem diejenigen, die die Krise postulieren, diffamiert werden. Dass sich ein solches Verhalten leider auch in Teilen der Politik zu eigen gemacht wurde – CSU und Freie Wähler sind dafür gute Beispiele – scheint mir mit verantwortlich für das Demokratieproblem zu sein, das wir beobachten.

Aber alles das ist nur eine partielle Antwort. Rechtspopulismus ist nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch und der Erfolg rechter Gruppen scheint andere Gruppen zu pushen. Vermutlich haben Sozial- und Politikwissenschaftler ausgereiftere Erklärungen, aber ich vermute, dass das, was ich aufgeführt habe, zumindest zum Teil auch in diesen Erklärungen vorkommen dürfte.

Darf ich mal zurück fragen? Wofür machst du eigentlich die Interviews?

"Wofür machst du eigentlich die Interviews?"

Magnus — Ich bin seit dem Beginn meines Studiums Demokratie-Fan, das fing in den 90ern an. Ab 2003 habe ich für 15 Jahre in der Schweiz gearbeitet und dort direkt, aber auch durch die Gespräche mit meinen Kolleg:innen eine noch bessere Form der Demokratie kennen gelernt. Das war für mich immer Ansporn, es auch in Deutschland noch besser machen zu wollen.

2016 habe ich eine Initiative für unabhängige Direktkandidaten gegründet und bin mit mehr als 20 Kandidierenden zur Bundestagswahl 2017 angetreten. Dadurch hat mich der Entwickler der DEMOCRACY App kennengelernt. Mit einem erfolgreichen Crowd-Funding und einer zusätzlichen BMBF Förderung konnte ich 2018 das Projekt GREMIEN - Online Pro/Contra Mitwirkungsforen für mehr Demokratie umsetzen.

All das waren Versuche, Innovation in die Demokratie in Deutschland einzubringen. Das politische System ist durch die Parteien allerdings ziemlich eisern abgeschlossen, was ich für ein grosses Problem halte. Jetzt, in 2024 zeigt sich, dass dieses abgeschlossene System zunehmend mehr Menschen verliert, sie wählen Protest und dieser Protest hat eine zusätzliche Agenda: die Abschaffung der Demokratie, wie wir sie kennen.

Ich will meinen Teil dazu beitragen, die Demokratie zu retten. Da ich zudem neugierig bin, interessiert mich, wie andere Menschen die Demokratie sehen. Deswegen die Interviews. Ich finde, es ist ein wichtiger Teil der Teilnahme an einer demokratischen Gesellschaft, sich selbst genauer damit auseinander zu setzen.

Stell dir vor, du dürftest zum Bundestag sprechen, alle Abgeordneten und die ganze Regierungsbank sitzen da und hören dir zu. Was würdest du vorschlagen, um die Demokratie zu retten oder sogar zu verbessern?

Jens Fleischhauer — Da es Expert*innen gibt, die sich mit dem Thema sehr gut auskennen, würde ich meinen Appell sehr kurz halten können: "Wie in allen Bereichen, sollten Politiker*innen bei den Fragen, wie können wir die Demokratie schützen und wie können wir sie verbessern, auf die relevanten Expert*innen hören".

Magnus — Kurz und schmerzlos! Da schonst du die Parlamentarier und ihre Zeit aber sehr. Sie werden es dir danken... Zum Abschluss würde mich doch noch interessieren: hast du noch eine Frage oder hättest du dir eine bestimmte Frage von mir gewünscht, die ich nicht gestellt habe?

"Glaubst du, dass die Klimakrise die antidemokratischen Tendenzen befeuert und sich somit als eine Klima- und Demokratiekrise darstellt?"

Jens Fleischhauer — Ich denke, wir hätten noch ein wenig auf den Zusammenhang zwischen Klimakrise und der aktuellen rechten Gefahr für die Demokratie eingehen können. Daher stelle ich dir die Frage: Glaubst du, dass die Klimakrise die antidemokratischen Tendenzen befeuert und sich somit als eine Klima- und Demokratiekrise darstellt?  

Magnus — Super spannende Frage! Auf den ersten Blick wollte ich "Nein" sagen, denn eigentlich sollte man ja jedes gesellschaftliche Problem auch demokratisch lösen können, oder? Dann habe ich aber tiefer überlegt und du hast tatsächlich einen kritischen Punkt getroffen.

Nach meiner Einschätzung können wir die Klimakrise - manche Menschen aus dem wissenschaftlichen Bereich sprechen schon von einer sich anbahnenden Katastrophe - nur durch eine Änderung unseres Weges der "fossilen Ausbeutung" angehen. Wir müssen weg vom Öl als Resource, weg vom Verbrennen von Gas oder sonstigen CO2 haltigen Energieträgern. Das ist eine Transformation epochalen Ausmasses, weil wir von dem Zeug so abhängig sind. Oder uns abhängig haben machen lassen.

Momentan wird diese Transformation als "Verzicht" kommuniziert. Jetzt wäre es eine Aufgabe, den Verzicht demokratisch zu verteilen. Da aber manche Gruppen dabei ihr komplettes Geschäftsmodell verlieren werden, wehren sich die natürlich auch extrem. Oftmals haben diese Gruppen viel Geld, man denke an die Öl-Industrie. Da ist jetzt eben sehr viel Geld auch in die Beeinflussung geflossen. Geld und Beeinflussung sind aber der Feind der Demokratie.

Wenn es dann noch weiter geht und diese Gruppen ihr Geld einsetzen, um Gesellschaften nicht nur zu beeinflussen, sondern aufzustacheln, dann ist es tatsächlich so, wie du es beschreibst: die Klimakrise und die grossen Verlierer der Transformation befeuern mit ihren riesigen finanziellen Mitteln antidemokratische Tendenzen.

Ich sehe da drei grosse Fragestellungen:

  • Erstens, wie wehrhaft ist die Demokratie wirklich? Einen Angriff wie er im September in Thüringen stattfinden wird, haben wir noch nie erlebt seit dem zweiten Weltkrieg.
"Einen Angriff wie er im September in Thüringen stattfinden wird, haben wir noch nie erlebt seit dem zweiten Weltkrieg."
  • Zweitens, wie können wir die Demokratie so weiter entwicklen, dass sie der finanziellen Beeinflussung besser widerstehen kann? Wie schaffen wir, das überzeugend an die Menschen zu bringen?
  • Und drittens frage ich mich, wann wir uns als Gesellschaft dazu durchringen, die Transformation nur noch als positives Ziel zu kommunizieren. Ich meine, wer hat denn was dagegen, sich nicht mehr im stinkenden Stau durch Automassen zu kämpfen? Wer hat etwas dagegen, eine Arbeit zu machen, die wirklich Sinn ergibt und nicht nur zu Stress-verursachendem Konsum und Verschwendung führt? Wer hat etwas dagegen, mehr Glück durch Gemeinschaft mit interessanten und friedlichen Menschen zu empfinden und nicht im Konkurrenzkampf gegen hasserfüllte Egoisten bestehen zu müssen?

Falls sich das jetzt utopisch anhört... tja, wir haben uns so dran gewöhnt, dass wir uns eine andere Welt oftmals nicht mehr vorstellen können oder nur noch verschämt im stillen Kämmerlein davon träumen.

Kleiner Spass-Fakt zum Schluss: Bhutan ist die einzige Nation der Welt, bei der Glück als Staatsziel in der Verfassung verankert ist. Sind das alles Verrückte? Falls du das jetzt denkst... frag dich mal, warum du das denkst... ;-)

Jens Fleischhauer — Du erwähnst zwei Aspekte, die ich wichtig finde. Erstens, stellst du die Frage, wie wir die Transformation als positives Ziel kommunizieren können. Da triffst du den Nagel auf den Kopf: Es geht darum, wie etwas kommuniziert wird. Ich habe vor ein paar Tagen in dem Buch "Klimarassismus" von Matthias Quendt, Christoph Richter & Axel Salheiser gelesen, dass sie den Begriff 'industriegemachter Klimawandel' dem Begriff 'menschengemachter Klimawandel' vorziehen. Unter anderem da die Industrie die treibende Kraft hinter der Klimakrise ist, während die Menschen (als Gesamtheit) nur in einem kleinen Zeitraum und dann davon auch nur ein Teil aktiv an dem Schlamasssel beteiligt waren. Ich finde diese Überlegung sehr gut, da somit der Verursacher klarer benannt wird. Framing, das ist ja was du ansprichst, ist ein wichtiges Thema und Klimakommunikation ein wichtiges Anliegen.

Zweitens, du verweist darauf, dass gerade diejenigen, die durch die Transformation ökonomisch verlieren müsssen - also die Konzerne - antidemokratische Tendenzen unterstützen. Das ist eine wichtige Beobachtung, denn wir beobachten auch, dass Kritik am Klimaschutz in rechten Ideologien verbreitet ist. Die Klimawandelleugner/ -verharmloser sind nicht nur in der Industrie, sondern gerade auch in der Rechten zu beobachten. Da steht uns ein gewaltiges antidemokratisches Lager gegenüber, sodass sich Klimaschutz und Einsatz für Demokratie/ gegen Rechts nicht wirklich trennen lassen. Mir wird immer klarer, dass Klimaschutz und Antifaschismus zwei Seiten einer Medaille sind. Würdest du das ähnlich sehen?

Magnus — Hm... insofern, als dass beide Krisen uns als Menschen direkt oder indirekt bedrohen, und das bis zur Lebensgefahr: ja.

Insofern, als die Krisen zusammen hängen: auch ja. Wir bekommen ja keinen Klimaschutz umgesetzt, wenn wir keine Demokratie mehr haben. Die Diktatoren, die da kommen mögen, haben an den Menschen selbst ja kein Interesse, an dem Geld und Einfluss der Industrie dagegen schon.

Ich sehe aber nicht, dass sie untrennbar zusammenhängen, denn es gibt durchaus einige Menschen aus dem konservativen Lager, die für Demokratie demonstrieren, weil sie nicht durch irgendwelche Diktatoren beherrscht werden wollen. Auf der anderen Seite wollen sie sich auch nicht durch Gesetzgebung für Klimaschutz einschränken lassen. Das ist natürlich total kurzsichtig, wenn man die Dringlichkeit der Klimakrise anschaut und deren pysikalische und unverhandelbare Wirkung. Es fusst aber auf deren Glauben, dass sie sich als wahrscheinlich wohlhabende Menschen aus dem Klimaschutz "rauskaufen" können.

"Weisse Menschen in nördlichen Ländern sind überlegen und weniger vom Klimawandel gefährdet?"

Da steckt viel Überlegenheitsdenken dahinter, würde ich vermuten. Weisse Menschen in nördlichen Ländern sind überlegen und weniger vom Klimawandel gefährdet? Der Gipfel sind ja die Superreichen, die sich eigene Bunker zum Überleben bauen. Sie leben in dem Irrglauben, dass sie niemand anderen brauchen und selbst überleben können.

Also untrennbar verbunden sehe ich die beiden Krisen vordergründig nicht.

Aber du hast vollkommen Recht mit der kommunikativen Herausforderung: wenn nicht ALLE Menschen begreifen, dass sie vor der Krise langfristig brutal getroffen werden, egal wieviel Geld sie haben, dann schaffen wir es nicht gemeinsam. Und wenn sich die Krise erst mal unignorierbar zeigt, dann haben wir auch keine Zeit und Muse mehr für Demokratie.

Spannend ist ja: wenn die Rechten wirklich - so komisch und befremdlich es klingen mag - das "deutsche Volk" erhalten wollen, also ein wievieljähriges Reich auch immer errichten wollten, müssten sie Klimaschutz total ernst nehmen. Denn ohne ihn kommen erst mal Milliarden Menschen in unsere nördlichen Breiten und zum anderen verheizen wir uns selbst.

Lass mich dich nochmals fragen: was tust du jetzt als nächstes? Was ist dein Plan für die nähere oder mittlere Zukunft? Wie befreist du dich, vielleicht auch nur teilweise, aus diesen bedrückenden Zusammenhängen?

Jens Fleischhauer — Es ist absehbar, dass die Demokratie weiterhin unter Beschuss sein wird. Dazu trägt nicht nur die AfD bei, sondern auch konservative, rechtspopulistische und neoliberale Politiker*innen aus den Kreisen von u.a. CDU/CSU, Freie Wähler und FDP. Insbesondere sehe ich dabei die Diskreditierung von Klimaschutzanliegen und die verbale Aufrüstung gegen Klimaaktivst*innen - beides geschieht seit einer Weile - als große Gefahr.

"Es ist absehbar, dass die Demokratie weiterhin unter Beschuss sein wird."

Für mich ergibt sich also, dass Klimaaktivist*innen gegenwärtig breit aufgestellt sein müssen und sich - so schade es eigentlich ist - nur bedingt um das Thema Klimakrise kümmern können.
Für mich ergibt sich daraus, dass die Zusammenhänge zwischen rechter Ideologie und Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen - auch gerade im Kontext anstehender Wahlen - noch einmal deutlicher thematisiert werden muss. Die Hauptaufgabe wird aber sein, dafür zu sorgen, dass rechte, rechtspopulistische und klar neoliberale Parteien keine Mehrheiten bekommen, denn dann ist mit Klimaschutz auch nichts mehr zu gewinnen. Es sollte klar sein, dass rechte Ideologie und auch die Klimakrise große Gefahren für die Demokratie sind und die Rechten die Klimakrise befeuern. Zugleich kann eine sich verschärfende Klimakrise den Rechten Aufwind bieten, wenn klar ist, dass das alles so, wie es jetzt ist, eigentlich nicht mehr bleiben kann. Um die Demokratie zu bewahren, brauchen wir mehr Klimaschutz und um mehr Klimaschutz zu bekommen, müssen wir gegen rechte Ideologie ankämpfen.

"Um die Demokratie zu bewahren, brauchen wir mehr Klimaschutz und um mehr Klimaschutz zu bekommen, müssen wir gegen rechte Ideologie ankämpfen."

Einen Plan dafür habe ich aber nicht, jedoch viele engagierte Menschen, die mit mir gemeinsam unter anderem in der for Future-Bewegung genau dafür aktiv sind.

Magnus — Das finde ich toll und es gibt so ein bisschen Hoffnung. Vielen Dank dafür!
Jens, ich danke dir sehr für das interessante Interview und deine erhellenden und wichtigen Punkte. Es war mir ein Vergnügen und alles Gute dir.

Jens Fleischhauer auf einer Demonstration mit dem Parents4Future